Cuculliinae

 
Inhalt:
bullet Systematische Probleme bei den Cuculliinae
bullet Problematik der Charakterisierung der Cuculliinae sensu BECK
bullet Tribus-, Subtribus- und Gattungs-Bestand der europäischen Cuculliinae
bullet „Übergänge“ sowohl zwischen Cuculliinae und Catocalinae wie auch zwischen den Cuculliinae und Noctuinae sensu BECK (Ipimorphini)

Systematische Probleme bei den Cuculliinae

Am Beispiel der Cuculliinae, s. Beck, 1992, erweist sich, dass es bei einer trotz der Bereinigungen noch immer heterogenen Gruppe (fast) ausgeschlossen ist, ein alle Taxa verbindendes autapomorphes Merkmal zu finden. Aus diesem Grund hat Poole (1995) im Gegensatz zu seiner Auffassung von 1991 (Lafontaine & Poole), die Cuculliinae, s. Beck, 1992, in mehrere „monophyletische“ U.-Fam. zerlegt. Hier wird noch weitgehend am Bestand der Cuculliinae, gemäß Beck, 1992, festgehalten (die Eustrotiinae werden hier jedoch auch als eigene U.-Fam. revitalisiert).

Gemäß der cuculliinen Phase der Evolution der Noctuidae wird deren Heterogenität als Resultat der Evolution zu erklären versucht.

Die Aufstellung von sogenannten Monophyla (monophyletischen Unterfamilien an Stelle der einen, komplexen Unterfamilie der Cuculliinae) kann ein ungerechtfertigtes „Korrigieren“ der evolutiven Wirklichkeit sein. Durch die Zerlegung der Cuculliinae in mehrere monophyle U-Fam. wird der evolutive Gesamtcharakter des Cuculliinae-Komplexes („cuculliine Phase“ der Evolution der Noctuidae) zerstört, bzw. unkenntlich gemacht. Viel wichtiger als das (u. U. ungerechtfertigte) monophyletische Aufspalten auf der Basis von relativen, auffälligen (autapomorphen?) „Randmerkmalen“ ist die Feststellung des Gesamtductus der Evolution in einer supragenerischen Einheit des Systems. So sind am Beispiel der Cuculliinae durchaus einige Gattungen als Tribus oder, u. U., aufgrund der Gewichtigkeit der Merkmale, als U.-Fam. denkbar (vgl. Poole, 1995). Die von Beck (1992) vorgenommene, vorläufige Diagnose der Cuculliinae (die im übrigen mehrere Parallelen mit den Plusiinae besitzt) durch die Valvenstruktur und, bei den Larven, durch das Auftreten einer borstenförmigen SD1-Borste auf S9 (bei gleichzeitiger Abwesenheit der SV2-Borste auf S1) ist relativ unauffällig (in bezug auf spezifische Autapomorphien) und noch dazu mit Ausnahmen behaftet, also nach den Prinzipien der Phylogenetischen Systematik zur Charakterisierung ungeeignet. Sie zeigt aber viel deutlicher die Entwicklungstendenz der Noctuidae in dieser Phase als es eine Aufsplitterung in spezifische, monophyletische U.-Fam. zum Ausdruck bringt.

Die heutigen Änderungen im Gattungsbestand der Cuculliinae bahnten sich bei Crumb (1956) und, unabhängig davon, bei Beck (1960) an, wurden von Merzheevskaya (1967) bestätigt und übernommen und von Beck (1989, 1992) weiter ausgebaut, wobei sich herausstellte, dass bereits Pierce (1909) durch seine Untersuchungen der männlichen Genitalmorphologie zu gleichen bis gleichartigen Ergebnissen gekommen war.

Leider haben die so interessanten Untersuchungen Tikhomirovs (1979) in Bezug auf die Einschätzung des Status der Cuculliinae eine falsche Voraussetzung; so hat Tikhomirov als Material für die Cuculliinae Cirrhia icteritia und Blepharita satura untersucht, die von Beck (1960) von den Cuculliinae s. Beck eliminiert worden waren. Es wundert daher nicht, daß Tikhomirov (1979: 125, 130) in der Bestätigung der Ergebnisse von Beck (1960) in bezug auf die Taxierung der Noctuinae, Hadeninae, Zenobiinae („Amphipyrinae“, bzw. Ipimorphini) und Cuculliinae diese alle als Tribus der Noctuinae einstuft, während Beck dies nur für die Noctuinae, Hadeninae und Zenobiinae empfohlen hatte. Abgesehen von der bei den Cuculliinae falschen Material-Voraussetzung ist es jedoch interessant, dass Tikhomirov auf weiten Strecken durch seine Untersuchungen zu den gleichen Ergebnissen kommt wie Beck, und das betrifft in der vorliegenden Arbeit auch die Einschätzung der Nolidae als selbstständige Familie der Noctuoidea.

Problematik der Charakterisierung der Cuculliinae sensu BECK

Die Charakterisierung der so formenreichen U.-Fam. Cuculliinae ist gegenwärtig nur durch Kombinationen von Merkmalen möglich, siehe unten. Das ornamentale Hauptkriterium einer größeren Zahl von Cuculliinae, nämlich die an der Seite des Analschildes verlaufende Stigmatale, wird in modifizierter Form einerseits bei den Cuculliinae selbst, andererseits bei verwandten U.-Fam. der Cuculliinae, den Plusiinae, Heliothinae und den Acronictinae, aber auch, in gleicher Weise, bei den Hypeninae, sowie Eriopini (Methorasa latreillei, bei Callopistria im LL-Stadium unklar) und, bes. charakteristisch, bei vielen Notodontidae beobachtet. Zum Teil kann es sich dabei um Repetitionen (reversals) eines vorübergehend blockierten Merkmals handeln, was im Fall der Notodontidae für unwahrscheinlich angesehen werden muss. Bei letzteren und womöglich verwandten Noctuidae- Subfamilien kann auch eine Parallelentwicklung des gleichen Merkmals (aufgrund gleichen oder diesbezüglich gleichartigen Erbguts) erfolgt sein, zumal alle genannten Taxa zu den Noctuoidea gehören. Die Xylocampina (Oncocnemidini) scheinen eine Stigmatale zu besitzen, die auf den Nachschiebern ce von L1 und L2 ausläuft, so jedenfalls bei Omphalophana antirrhini (Omphalophanina, Oncocnemidini).

Nach der Vielzahl an Übereinstimmungen mit den Catocalinae wurden zunächst Xylocampa, Lophoterges und Calliergis als Tribus Xylocampini den Catocalinae unterstellt. Bei der morpholog. Untersuchung weiterer Taxa der Cuculliinae (so bei Epimecia Guenée - bislang eine „Ipimorphinae“ -, Calophasia Stephens, Omphalophana Hampson und auch bei Sympistis Hübner und Funepistis Beck) zeigten sich dann erhebliche Übereinstimmungen, die zur Integrierung als Xylocampina bei den Oncocnemidini führten. Nach dem Progressivitätsprinzip („moderne“ = apomorphe Merkmale haben bei der Zuordnung den Vorrang vor ursprünglichen, plesiomorphen Merkmalen) wird hier nun doch, vor allem unter Berücksichtigung des imaginalen Habitus bei Xylocampa (Relation der Flügelgröße zum Rumpfvolumen und eine entsprechende Flügelzeichnung) der Zuordnung zu den Cuculliinae der Vorzug gegeben. Dennoch ist die Herkunft von den Catocalinae unverkennbar. Eine weitere „Linie“ der Cuculliinae, die einen starken Anteil an catocaloiden Merkmalen zeigt, ist die Tribus Allophyini, deren Vertreter ebenfalls, imaginalhabituell, den Typ der trifinen Eule verkörpern. Lediglich die Vorderflügelornamentik zeigt einerseits durch das Fehlen der Zapfenmakel, andererseits durch ein Auftreten der suborbicularen Makel (vgl. die Plusiinae) ursprüngliche Verhältnisse.

Tribus-, Subtribus- und Gattungs-Bestand der europäischen Cuculliinae

Hier wird versucht, die Vielfalt der U.-Familie durch eine Grobgliederung in Tribus und Subtribus deutlich zu machen, wie sie unabhängig, annähernd in gleicher Weise, von Poole (1995) publiziert wurde. Ansätze zu einer solchen Gliederung sind bereits bei Franclemont (in Hodges, 1983) vorhanden, obwohl dieser Autor noch die Systematik von Boursin verwendet, wie es mit der Tribusbezeichnung Xylenini (die somit einem Teil der Ipimorphini s. Beck entsprechen) zum Ausdruck kommt. Neben der nun für die Cuculliinae hinfälligen Tribus Xylenini unterscheidet Franclemont die Tribus Feraliini (möglicherweise sind dieser Tribus auch Vertreter von Amphipyra Ochsenheimer s. l. zuzurechnen; für eine morphologische Untersuchung von Feralia Grote stand larval kein Material zur Verfügung, habituell entspricht die Larve von Feralia jedoch Adpyramidcampa Beck, mit effusa Boisduval), Psaphidini, u. a. mit Brachionycha (nubeculosa) Hübner, Oncocnemidini, u. a. mit Oncocnemis Lederer, Sympistis Hübner und Calophasia Stephens, sowie die Cuculliini, u. a. mit Cucullia Schrank.

Lafontaine & Poole (1991: 21) rechnen zu den Cuculliinae s. l. (= U.-Fam.-Gruppe, bzw. U.-Fam.-Komplex): von den Noctuinae die Heliothini, Grotellini; von den Cuculliinae die Oncocnemidini, Psaphidini, Feraliini; von den Amphipyrinae Amphipyra, Stiriini, Nocloini; von den Acontiinae die Acontiini, Cydosiini und Eustrotiini; ferner die Agaristinae.

Wenngleich Lafontaine & Poole betonen, dass diese Anordnung der von Beck (1960) ähnlich ist, so ist für die Cuculliinae s. l. diese Gemeinsamkeit in der Bewertung der trifinen Noctuidae von Beck erst 1989 mit dem Begriff „Cuculliinae-Komplex“ in die Diskussion gebracht worden. Trotz der nahen Verwandtschaft zwischen den Heliothinae und Cuculliinae wird hier an einer selbständigen U.-Fam. Heliothinae festgehalten. Von den Acontiinae werden, im Gegensatz zur Auffassung von Beck (1992) nun, nach der larval-morph. Untersuchung, die Eustrotiinae als selbständige U.-Familie behandelt. Auch die Agaristinae werden von Lafontaine & Poole (1991) und von Poole (1995) den Cuculliinae zugerechnet. Von den in Europa nicht vorkommenden Agaristinae konnte erst die Larve von Sarbanissa transiens Walker (Material leg. Rabenstein, über Speidel, ZFMAK Bonn, B AE14) untersucht werden, die ornamental dem longit Primärlinientyp zuzurechnen ist; die morph. Differenzen gegenüber den Noctuidae waren dabei jedoch so gravierend (S1 mit drei, S2 mit vier, S7-S9 mit je zwei SV-Borsten), dass auf dieser Basis für die Stellung im System noch keine endgültige Aussage gewagt werden kann. Im Gegensatz zu den eigenen Ergebnissen stehen auch die relativ geringfügigen Abweichungen, die Crumb (1956) - 6 untersuchte Gattungen - und Gardner (1946) - 4 untersuchte Gattungen - bei den Larven der Agaristinae gefunden haben. Verwunderlich ist, parallel zu diesen Ergebnissen, die außerordentlich verschiedenartige Ornamentik der von Yamamoto et al. in Sugi (1987) abgebildeten Agaristinae-Larven, Fig. B AE9 bis B AE12 (neben einer Art mit longit Primärlinien-System, B AE13, treten vier weitere Arten mit markantem Transv-Linien-System auf; vgl. hierzu auch die Eriopini).

Die Gattungs-Listen der Cuculliinae (Beck, 1992) waren vorläufige, da sie noch der Ergänzung durch die entscheidende, larvalmorphologische Untersuchung bedurften. Diese liegt hier nun vor. Die imaginalsystematischen Wirrnisse um die Charakterisierung und den Gattungsbestand der Cuculliinae können nun unter einem neuen Aspekt und wohl auch im Licht einer allgemeinen Akzeptanz präsentiert werden. Dazu sind jedoch grundsätzliche Bemerkungen notwendig, siehe oben.

Der durch Beck (1992) bereinigte Gattungsbestand der Cuculliinae zeigt trotz der hier vorgenommenen Elimination der Eustrotiinae noch immer ein stark differenziertes Bild. So ist es nach dem Valven-Konzept Becks (1989) für die Cuculliinae nicht möglich, damit ohne weiteres die Zugehörigkeit der Omiini, von Apopestes, Calophasia (= Oncocnemidini), Allophyes, Phyllophila, Alvaradoia, etc. zu den Cuculliinae s. Beck zu erklären. Das ist nur über flankierende Merkmale möglich.

„Übergänge“ sowohl zwischen Cuculliinae und Catocalinae wie auch zwischen den Cuculliinae und Noctuinae sensu BECK (Ipimorphini)

Die Cuculliinae zeigen in ihren rezenten Vertretern deutliche Hinweise für ancestrale „Übergänge“ sowohl „zu“ den Catocalinae s. Fibiger & Hacker, 1991, wie auch zu den Noctuinae, Ipimorphini Beck. Daraus ergibt sich die Problematik der Charakterisierung der neuformierten Cuculliinae, die daher eher als eine Entwicklungsphase (cuculliine Phase der Evolution der Noctuidae, Beck, 1992) denn als eine monophyletische Einheit zu beschreiben sind. Kitching (1984) hat bereits auf den polyphyletischen Charakter der Cuculliinae hingewiesen. Dieser Charakter ist auch aufgrund der Revision dieser U.-Fam. durch Beck (1992) nach wie vor gegeben. So treffen die von Beck zur larvalen Charakterisieurng dieser U.-Fam. benutzten Merkmale aufgrund der nunmehrigen morphologischen Gesamtanalyse nur z. T. für die Cuculliinae zu, z. B. findet sich die lange, röhrenförmige Spinndüse von Cucullia in dieser Form nur noch bei den Allophyina (und den Heliothinae, aber auch bei einigen Ipimorphini); es handelt sich bei der Veränderung der Spinnröhre innerhalb der Cuculliinae sensu Beck um einen Vorgang, der mit der Veränderung der Spinnröhre innerhalb der Noctuinae sensu Beck verglichen werden kann, d. h. die Spinnröhre selbst ist nicht zur Chrarakterisierung dieser U.-Familien geeignet.

Wie die Diagnose der Cuculliinae belegt, ist deren Ableitung von den Catocalinae (wie bereits von Beck, 1960, dargelegt) für die Xylocampina und für den Formenkreis um Allophyes von den Catocalinae als gesichert zu betrachten. Nicht anders sind letztlich jene Umstellungen Dufays (1975) zu verstehen, der Apopestes, Autophila Hübner und Tathorhynchus Hampson (alle drei Gattungen von Boursin den „Amphipyrinae“ zugerechnet) zu den Catocalinae überstellte. Die Argumentation für die Zuordnung von Apopestes zu den Cuculliinae wird von Beck (1992) dargelegt.

Der sehr lange Streit über die Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit vieler Gattungen (vor allem der Noctuinae, Ipimorphini) zu den Cuculliinae kann heute so verstanden werden, dass (da die Zugehörigkeit zu den Cuculliinae aus der männl. Genitalstruktur erkennbar sein sollte) imaginal die Form der Valve mit ihren Processen völlig verschieden beurteilt wurde. Während die diesbezüglichen Ausführungen von Beck (1989 und 1992) die Synapomorphie einer spezifischen Valvenstruktur für viele Cuculliinae, Heliothinae, Plusiinae und Amphipyra s. l. belegen und damit einen Verwandtschaftskreis aufzeigen, der auch durch andere Merkmale unterstützt und gefestigt ist, war das betreffende Konzept Boursins wesentlich weiter gefasst. Bei beiden Konzepten ist die Valve annähernd linealisch gerade bis leicht gebogen; der gravierende Unterschied zwischen den beiden Auffassungen besteht bei Beck (und Pierce, 1909) in der Betonung der diagonalen Achse vom Clavus zur Harpe, die (fast?) stets am Valven-Cdr liegt oder diesen sogar überragt (Brachionycha), wogegen Boursin zusätzlich noch Formen mit einbezieht, welche eine zentrale Harpe aufweisen (Verlust der Diagonal-Achse), die gegen die Costa orientiert ist und diese auch überragen kann. Diese letzteren Taxa konnten larval als nicht zu den Cuculliinae gehörig charakterisiert werden. Sie sind inzwischen auch von den Imaginalsystematikern zu den Ipimorphini überstellt worden. Diese Taxa zeigen aber hier und da noch Merkmale, wie z. B. die lange röhrenförmige Spinndüse der Lithophanina, die auch gewissen Cuculliinae (Cuculliini und Allophyini) zukommen (ob als reverses Merkmal oder als Eigenschöpfung, das sei vorläufig dahingestellt). Damit wird indirekt die Möglichkeit einer Ableitung der Ipimorphini von den Cuculliinae angedeutet.