Imaginal- vs. Larvalsystematik

 

Auseinandersetzungen zwischen Imaginal- und Larvalsystematik (Praeimaginalsystematik)

Seit Erscheinen der ersten beiden Bände (1999) und dann der beiden Folgebände (2000) „Die Larven der Europäischen Noctuidae - Revision der Systematik der Noctuidae“ ist ein relativ geringes Echo wahrzunehmen.
Soweit Besprechungen erschienen sind (Vives Moreno, 2000, SHILAP 28; Heinicke, 2000, ENB; Reser, 1999, 2000, Entom. Berichte Luzern; Haggett, 1999, 2000, Ent. Rec.; Hausmann, 2002, Mitt. Münch. Ent. Ges. 92), wurden diese recht allgemein gehalten. Was den eigentlichen Kern der Bücher Becks betrifft – Revision der Systematik der Noctuidae – so wagt niemand so recht, sich damit gründlich auseinanderzusetzen. Es ist auch kaum jemandem zu verdenken – zu groß ist die Fülle des Materials und zugleich zu fremd für Imaginalsytematiker. Es hieße auch, sich mit Beck zu solidarisieren und in Opposition zur herrschenden Imaginalsystematik zu treten, von der letztlich jeder Noctuiden-Sammler und Noctuidenfachmann abhängig ist – allein durch die Bestimmbarkeit des jeweiligen Materials durch difficile Genitalpräparate.
Was schließlich die neuen Ideen Becks und die von ihm vorgeschlagenen taxonomischen Änderungen betrifft, so halten sich einige Autoren (Heinicke und Reser) bedeckt, indem sie für endgültige derartige Entscheidungen den ‚schwarzen Peter‘ der Molekulargenetik zuschieben. Diese offenkundige Krise in der Systematik ist Gegenstand einer neuen Publikation des Autors, „Systematics (of the Noctuidae) in crisis (Lepid., Noctuidae)“, welche der ‚nota lepidopterologica‘ zur Publikation vorliegt.- Lediglich Hausmann hält die systematische Neuordnung der Plusiinae nach den Darlegungen von Beck.-.Abrostolini höchst evolviert (diese Tribus dagegen bei allen Imaginalsytematikern die ursprünglichste der Plusiinae) - für ‚plausibel‘, auch ohne molekulargenetische Untersuchungen. Um die morphologisch gestützten Ansichten Becks zu untermauern, laufen von Beck veranlasste, erweiterte molekulargenetische Untersuchungen. Und diese werden, davon ist Beck fest überzeugt, die morphologischen Befunde bestätigen. Inzwischen weiß man, dass auf dem Gebiet der Molekulargenetik sehr wohl manipuliert werden kann. Je nachdem, welches Gen und welcher Umfang an Basenpaaren darin untersucht wird, sind die Ergebnisse verschieden und damit nicht mehr vergleichbar. Bevor also molekulargenetische Aussagen ein fundamentales Gewicht erhalten, muß eine Standardisierung der betreffenden Arbeitsmethoden und auch Einigkeit über die zu untersuchenden Gene und über eine entsprechend große und aussagekräftige Basensequenz bestehen.

Die gelegentlichen Äußerungen Fibigers (z.B. Noctuidae Europaeae, Noctuinae III, 1997: p 13; Noctuidae Europaeae Hadeninae II, 2001: p 11, 17) über die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen Imaginal- und Larvalsystematikern entbehren der notwendigen Vorausssetzung – nämlich der Gleichberechtigung der jeweiligen Forschungsergebnisse. Wie der Mißbrauch der Inanspruchnahme der Mitarbeit des Larvenspezialisten Ahola in Hadeninae II beweist, ist von einer solchen Gleichberechtigung keine Rede: Wenn, als ‚Alibi-Feigenblatt‘ (zur Demonstration, dass in ‚Noctuidae Europaeae‘ sehr wohl die Präimaginalstadien mitberücksichtigt würden) in Hadeninae II dieserReihe Ahola, Mitarbeiter und Freund Becks, als Mitarbeiter an diesem Band mitgewirkt hat (man fragt sich, wozu dies eigentlich nötig ist, da die entsprechenden Aussagen fast alle bereits bei Beck, 1999,2000 zu finden sind), dann ohne jegliche taxonomisch-systematische Kompetenz. Das heißt, viele der dortigen taxonomisch-systematischen Zustände sind, nach Beck, 1996, 1999-2000, nicht tragbar und dennoch ohne Widerspruch von Ahola geblieben, ganz einfach, weil er bei der Endredaktion übergangen wurde. Was von einem solchen Intrigenspiel zu halten ist, kann sich jeder ausmalen. Inzwischen geht Fibiger sogar so weit, dass er die bereits vorliegenden larvalen Untersuchungsergebnisse Becks (Beck, 1996, 1999-2000) völlig ignoriert. So nimmt Fibiger (2003, Noctuidae Europaeae, Catocalinae) in keiner Weise bezug auf die von Beck längst vorgenommene subgenerische Gliederung von Catocala Schrank, obwohl er zu einer gleichen Gliederung in ‚Artengruppen‘ kommt.
Wie überzeugt Fibiger von seinen überragenden Fähigkeiten ist, geht allein aus folgendem Verhalten hervor: In Noctuidae Europaeae, Noctuinae III, synonymisiert er Beckeugenia Beck, 1996 (Typus: punicea Hübner) mit Paradiarsia McDunnough, 1929 (Typus: littoralis Packard) mit der durch nichts bewiesenen Behauptung, dass beide Typen (punicea und littoralis) Schwesterarten seien. Beck hat 1999-2000 in aller Ausführlichkeit (unter Berücksichtigung der betreffenden Imagines, der Genitalstrukturen und der Larven) diese leichtfertige Äußerung Fibigers widerlegt, doch bis heute hat Fibiger keine Anstalten getroffen, sein Fehlverhalten zu korrigieren – ein Grund mehr, eine Zusammenarbeit abzulehnen.
Nicht anders ist das Verhalten von Hacker zu werten, der einerseits alle taxonomischen Änderungen Becks (1991) rundweg ablehnte, so lange er nicht zur gleichen Überzeugung gekommen ist. Darüber hinaus versucht Hacker durch zahlreiche Fehlinformationen auf jede erdenkliche Art dem Ansehen Becks zu schaden. Dazu einige Beispiele: In Noctuidae Europaeae, Hadeninae I, 2002: 12, versucht er durch Auflistung meines Namens unter den Personen, denen er Dank schuldet, den Eindruck zu erwecken, als wenn Beck mit ihm zusammenarbeiten würde, bzw. nun in das Lager der Imaginalsystematiker gewechselt wäre – eine Unterstellung, die jeder Basis entbehrt, da Beck Hacker keinerlei Unterstützung für Hadeninae I zukommen ließ, wie auch Beck mit der dort von Hacker vertretenen taxonomischen Bewertung der betreffenden Gattungen überhaupt nicht einverstanden ist.- Hacker (Hadeninae I, 140) stellt in Abrede, dass Beck jemals eine Raupe von Hadena christophi Möschler ‚in der Natur‘ gesehen habe. Abgesehen davon, dass es belanglos ist, ob die betreffende Raupe in der Natur oder an Hand eines Fotos (nach der Natur) analysiert wurde, ist festzuhalten: Beck (1999: 590) hat eindeutig das entsprechende Foto von Dr. Kasy (was dieser dem Taxon christophi zugesprochen hat) als Abbildung von Hadena perplexa (Denis & Schiffermüller) identifiziert und darauf und auf die morphologischen Untersuchungen Hackers (Esperiana III: 322-326) basierend Hadena christophi mit Hadena perplexa synonymisiert. Nur wenn diese Synonymisierung zutrifft, wofür sehr vieles spricht, dann hat Beck in der Tat nie ein Bild von einer christophi-Raupe gesehen, ganz einfach weil es dieses Taxon überhaupt nicht gibt. Somit ist die Behauptung Hackers ebenfalls als diskriminierend zu werten.
Es gibt im übrigen sehr viele ‚Genitalspezies‘ die auf äußerst wackligen Füßen stehen (dazu gehören auch viele von Boursin aufgestellte Arten, z.B. ‚Hadena‘ strouhali, Hoplodrina pfeifferi, mehrere Cucullia-Arten, vgl. Beck 1989) – es geht nicht an, dass wegen geringfügiger, ‚konstanter‘ Differenzen im Genital neue Arten aufgestellt werden, wenn das Material nicht aus (verschiedenen) ex ovo Zuchten stammt und somit eindeutig der Variabilität Rechnung getragen wurde.
Das Verhalten in bezug auf die taxonomische Bewertung bei Gattungen und Untergattungen im Vergleich zur Bewertung von Arten ist bei den Imaginalsystematikern geradezu schizophren: Während die moderne Genitalsystematik bei geringfügigen morphologischen Differenzen bereits auf den Status von ‚guten‘ Arten plädiert, ohne überhaupt das polymorphe Spektrum der betreffenden Ausgangstaxa (Arten) überprüft zu haben und ohne ex ovo Material beider Geschlechter zu berücksichtigen (Ronkay et al. 2001: 200; vgl. dort die vielen neuen Arten bei Dasypolia s.l.), die einer sorgfältigen Überprüfung in dieser Hinsicht bedürfen), werden die sehr wohl (morphologisch) fundierten Taxa Becks (vgl. die Revision von Noctua Linnaeus, Beck et al., 1993) auf generischem Niveau in Frage gestellt, ignoriert oder zurückgewiesen. Nicht anders ist schließlich die Behauptung Fibigers (Esperiana 9: p 513) zu verstehen, dass die Genitalstrukturen kaum einer Variabilität unterliegen. Diese Aussage basiert auf dem Trugschluß, dass, da jedes abweichende (variierende) Taxon (Individuum) bereits als eigene Art eliminiert wurde, die ohne Zweifel vorhandene Variabilität hintergangen und, unzulässig, beseitigt wurde. Der unheilvolle Satz von Holland (1905), Svensson (1992): Auf dem Gattungsniveau sollte der Taxonom ein ‚lumber‘ (Zusammenleger von Gattungen) auf dem Gebiet der Art dagegen ein ‚splitter‘ (ein ‚Produzent‘ von immer neuen Arten) sein, ist offenbar ‚Wasser auf die Mühlen‘ der ‚modernen‘ Taxonomen: Konsequent werden unmögliche Gattungskombinationen vorgenommen (z.B. Pseudaporophila - mit haasi Staudinger – mit Trigonopora; vgl. auch die diesbezüglichen taxonomischen Änderungen durch Matthews, 1991, bei den Heliothinae) und neue Arten aufgestellt, deren Existenz anderweitig nicht mehr nachvollziehbar ist; morphologische Subspezies gibt es nicht oder kaum (es ist überhaupt bemerkenswert, dass es weit weniger Subspezies als Spezies gibt, was nach dem Wesen der Evolution ebenfalls ein Widerspruch ist und nur als Folge der unsinnigen Aufsplitterung von Arten zu immer neuen Arten statt zu Morphosubspezies zu verstehen ist. Offenbar seit diesem Zeitpunkt, 1992, und eben unter dem Einfluss von Svensson haben Fibiger & Hacker die in ihrer systematischen Liste (1991) so zahlreich angekündigten taxomischen Änderungen auf dem Gattungsniveau weitgehend fallen gelassen.-
Da Einmütigkeit (Kitching & Rawlins, 1998, im Handbuch der Zoologie) darüber besteht, dass die Präimaginalstadien für die Aufstellung des natürlichen Systems unerlässlich sind, ist die Forderung (und der Vollzug) von Fibiger, Hacker und Ronkay nach weltweiten Revisionen (auf imaginaler Basis) als Voraussetzung für taxonomische Entscheidungen (besonders von Beck) eine inkonsequente Augenwischerei. Entweder gilt, dass hierfür auch die Untersuchung der Larven von Bedeutung ist oder man nimmt von vornherein in Kauf, dass solche Revisionen nichts anderes sind, als eben auch nur ein Schritt auf dem Weg zur Findung des natürlichen Systems. Nicht anders ist schließlich das Tun von Beck zu verstehen. Auch die Larvalsystematik kann nicht den Absolutheitsanspruch erheben, alles richtig zu machen – sie steht im steten Austausch mit den Erkenntnissen der Imaginalsystmatik.
Eine Zusammenarbeit zwischen den genannten Vertretern der gegenwärtigen Imaginalsystematik und Beck, als Vertreter einer neuen, larval induzierten Systematik der Noctuidae ist zur Zeit unmöglich. Zu sehr sind die Fronten verhärtet, zu oft wird unsachlich argumentiert und immer wieder diskriminiert und zu sehr würde schließlich das Image der Imaginalsystematik leiden, wenn man zugeben müsste, dass Beck doch, wie bereits 1960 mit den revolutionären Änderungen bei den Cuculliinae, wieder Recht hat.
Das Lager der Imaginalsystematiker schart sich um Fibiger, den Herausgeber der ‚Noctuidae Europaeae‘ – einer Buchreihe, die überfällig war und außerordentlich verdienstvoll ist, da sie endlich die Grundlagen (durch Abbildungen moderner Genitalpräparate) für eine meist sichere Bestimmung der Imagines liefert. Alle namhaften (Imaginal)Noctuidenwissenschaftler sind darin involviert. Zugleich entsteht aber auch eine wissenschaftlich untragbare Abhängigkeit für Determinationen von den betreffenden ‚Genitalspezialisten‘. Es ist daher dringend notwendig, dass eine neue Generation von Spezialisten auf diesem Gebiet heranwächst, welche nach wissenschaftlichen Grundsätzen die bisherigen Resultate überprüft und die gebotene wissenschaftliche Objektivität wieder herstellt.
Was die Verbreitungskarten der Arten und die Äußerungen zur Phylogenie und zur systematischen Stellung vieler Taxa in ‚Noctuidae Europaeae‘ betrifft, so sind letztere das Resultat einer falsch verstandenen phylogenetischen Systematik und insofern nur eine Meinungsäußerung, die noch keine definitive wissenschaftliche Aussage beinhaltet.
Hat Fibiger, 1997, (Noctuidae Europaeae, Noctuinae III) noch die Vermessenheit besessen, die taxonomischen Änderungen Becks in Bausch und Bogen abzulehnen („Most if not all of the taxonomical changes of Beck have to be rejected“) und machen sich selbst Ronkay et al. (Noctuidae Europaeae, Hadeninae II: 2001: 17) die gleichartige Äußerung zu eigen [‚As a consequence of this principle - „Thus, the extensive suprageneric and generic splitting of the Noctuidae based on European or northern Nearctic fauna, simply cannot be justified without a similarly intensive study of the fauna of the other continents“ – the numerous suprageneric taxa newly established by Beck (1996, 1999) are generally rejected, even in those cases where they are possibly correct‘], so macht sich zunehmend die Erkenntnis breit, dass Beck Recht hat. Bereits Vives (1994) übernahm für seinen Katalog der spanischen Lepidopteren fast alle taxonomischen Änderungen Becks (1991), gefolgt von Yela (1991, 1992), der dann allerdings davon teilweise wieder Abstand nahm, unter gleichzeitiger Anerkennung, dass die modernen Änderungen (nach der Ära-Boursin) auf dem Gebiet der höheren Sytematik (Unterfamilien) das Verdienst Becks wären (Yela, 1997). Selbst Hacker übernahm mittlerweile das eine oder andere und auch Ronkay (Noctuidae Europaeae, Plusiinae, 2003).
Recht umfangreich (trotz des Monopolanspruchs von Fibiger et al.) ist die Anzahl der von den ‚Finnen‘ übernommenen Änderungen Becks (Kullberg, et al. 2002).
Im übrigen beweisen der enorme Umfang der letzten drei Bände von Noctuidae Europaeae (Hadeninae II, 2001, Hadeninae I, 2002 und Catocalinae/Plusiinae, 2003), dass dem Einfluß von Beck zu begegnen versucht wird: Neben der bisherigen, oft recht oberflächlichen und unzureichenden Charakterisierung der Taxa (Fibiger, Noctuinae I, II; Ronkay, Cuculliinae I, II) sowohl in bezug auf das Flügelmuster wie auf Unterschiede im Genital, deren Auswertung Fibiger, expressis verbis (Noctuinae III: 13) dem Betrachter überlässt, werden durch umfangreiche Arten- und Gattungslisten (aus außereuropäischen Gebieten) und Spekulationen zur Phylogenie der Versuch gemacht, Beck zu zeigen, was er alles für seine taxonomischen Entscheidungen hätte berücksichtigen müssen – damit wird der Rahmen der Noctuidae Europaeae allmählich zu dem von ‚Noctuidae Mundi‘.- Ob das im Sinne des an der europäischen Fauna interessierten Lesers (Abonnenten) ist, der das ja alles mitfinanziert, kann bezweifelt werden. Eine Aufwertung der Buchreihe Noctuidae Europaeae wird auch durch Hinzuziehung weiterer imaginaler Merkmale, durch Angaben zur Bionomie (Lebensweise der Larven - die keine oder keine wesentlichen Neuigkeiten mitteilen) versucht. Dieses Bemühen vermag aber nicht den notwendigen Beitrag des Studiums präimaginaler Stadien zu ersetzen. Somit bleiben die Versuche weltweiter Revisionen auch nur, wenn überhaupt, Schritte auf dem Weg zum ‚Natürlichen System‘ der so außerordentlich komplizierten Familie der Noctuidae.